Barbarenschmuck und Römergold
Der Schatz von Szilágysomlyó
Im Abstand von beinahe 100 Jahren wurden 1797 und 1889 im damals ungarischen Szilágysomlyó (heute Simleu Silvaniei, Rumänien) auf demselben Grundstück zwei Schatzfunde geborgen, die in die kaiserlichen Sammlungen nach Wien (heute Kunsthistorisches Museum Wien) bzw. in das Ungarische Nationalmuseum nach Budapest gelangten. Die Zusammengehörigkeit beider Schatzfunde ist mit fast völliger Sicherheit anzunehmen und heute kaum noch umstritten.
Beide Funde sind als Bestandteile eines Ensembles zu werten, das an getrennten Orten, wenngleich in unmittelbarer Nachbarschaft verborgen und später zu verschiedenen Zeiten zufällig wiederentdeckt wurde. Mehr als 100 Jahre nach der Auffindung des 2. Schatzes werden nun in dieser in Wien und im Anschluß in Budapest gezeigten Ausstellung beide Funde erstmals gemeinsam präsentiert.Zum 1. - von zwei Hirtenknaben am 3. August 1797 beim Pflaumenpflücken zufällig entdeckten - Schatzfund gehören eine Serie von 17 geösten und teilweise gerahmten Medaillons (davon sind drei verschollen), eine einzigartige Goldkette mit 52 amulettförmigen Anhängern, weiters 24 Goldblechringe, ein scheibenförmiger Anhänger, ein Fingerring, ein Armbandfragment und ein Zierglied mit Menschendarstellung. Der 2. Schatzfund, auf den Tagelöhner am 20. April 1889 beim Kartoffelsetzen stießen, besteht aus einer prunkvollen Onyxfibel, zehn kostbaren, mit Gold und Steinen belegten Fibelpaaren, einem Schwurring und drei Goldschalen.
Die insgesamt 73 erhaltenen prachtvollen Objekte aus Gold und Silber mit einem Gesamtgewicht von fast 8 Kilogramm sind wertvolle Zeugnisse für die Beziehungen zwischen Römern und Ostgermanen im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr.
Die Funde von Szilágysomlyó belegen in mannigfaltiger Hinsicht die Vermischung "barbarischer" und römischer Elemente und spiegeln wohl die politischen Verhältnisse im Karpatenbecken in der Zeit zwischen 290 und 433 bis 445 n. Chr. wider. Unter den ältesten, aus dem 4. Jahrhundert stammenden Objekten der beiden Funde, wie den römischen Medaillons (Prägungen aus der Zeit von 290 378 n. Chr.) oder der Kaiser- oder Onyxfibel, dominieren römische Elemente. Die römischen Medaillons wurden aber von germanischen Goldschmieden gefaßt oder imitiert. Die Prunkfibeln stammen vorwiegend aus von Römern organisierten Werkstätten, die gezielt für die Deckung des Bedarfs einer barbarischen Oberschicht produzierten; für sie sind germanische Elemente charakteristisch. Hinsichtlich des Materials sowie der handwerklichen und künstlerischen Qualität finden sich sowohl unter den Prunkfibeln des 2. Schatzes als auch unter den Medaillons sowie mit der Goldkette aus dem 1. Fund Spitzenerzeugnisse spätantiken Kunsthandwerks: Die Onyxfibel und das größte erhaltene Goldmedaillon des Altertums führen eindringlich den Maßstab der Superlative vor Augen.
Repräsentativer Gold- und Edelsteinschmuck spielte eine wichtige Rolle in der Selbstdarstellung sozialer Gruppen des spätrömischen bzw. frühbyzantinischen Reiches. Nicht umsonst wurde die Verwendung von Schmuck aus edlem Metall und bestimmten Edelsteinen von den Kaisern mithilfe von Gesetzen reglementiert, um Rangstufen zum Ausdruck zu bringen. Die Praxis, barbarische Heerführer und die Herrscher benachbarter Kleinstaaten als Ausdruck der Bindung an den eigenen Staat mit reichen Geschenken zu bedenken, wurde später auch in Byzanz weiter praktiziert. Die Schatzfunde von Szilágysomlyó sind besonders geeignet, als archäologische Realien in Ergänzung zu den Schriftquellen das Ranggebaren gentiler Heerführer zu illustrieren. Die Abnützungsspuren an den Objekten sprechen dafür, daß die Schmuckgegenstände bis zum Zeitpunkt der Verbergung verwendet worden sind. Die Eigentümer scheinen ihre repräsentativen Schätze bis zuletzt im wahrsten Sinne des Worte zur Schau getragen zu haben, um Macht, Ranganspruch, Reichtum und Beziehungen zum Römischen Reich, der wohl als überlegen empfundenen Hochkultur, augenfällig zu demonstrieren.
Der Qualität und dem großen Gewicht der Funde nach zu schließen, handelt es sich bei den Schatzfunden von Szilágysomlyó wohl um einen im Verlauf von ungefähr 150 Jahren zustande gekommenen Hort einer ostgermanischen, vielleicht gepidischen Königsdynastie, der wohl infolge eines außergewöhnlichen politischen Ereignisses im 2. Viertel des 5. Jahrhunderts n. Chr. verborgen wurde.Die Schatzfunde von Szilágysomlyó sind archäologische Quellen ersten Ranges für die Erforschung der frühen Völkerwanderungszeit. Dies ist jedoch keineswegs nur wegen der spektakulären Pretiosen in beiden Fundkomplexen der Fall, die zweifelsohne zu den kostbarsten Objekten des frühvölkerwanderungszeitlichen Fundstoffs gehören und deren exklusiver Charakter kaum zu überbieten ist. Der besondere Quellenwert beruht vielmehr auch auf den mannigfaltigen Aussagemöglichkeiten, die konsequente Untersuchungen der Gegenstände aus den beiden Schätzen besonders sinnvoll werden lassen. In dem zur Ausstellung erscheinenden Katalog werden - neben einer ausführlichen Beschreibung der Objekte - die neuesten wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse über die Goldschätze von Szilágysomlyó veröffentlicht.
Information
2. März 1999
bis 2. Mai 1999