Entdecken Sie in der Rubrik Kunstgeschichten abwechslungsreiche Essays zu verschiedensten Kunstwerken aus unseren umfangreichen Sammlungsbeständen.
Ein prachtvoll bestückter Engel führt dem Malerhelden die Hand. Er kniet. Lukas trägt ein pelzbewährtes, schweres rotes Gewand. Er schaut nicht einmal hin.
Unter seinen Augen entsteht eine feingliedrige Tuschezeichnung. Er ist so gut wie fertig, ich schwebe also schon einige Zeit im Raum. Kraft göttlicher Eingebung entsteht mein allererstes Porträt.
Den Engel und mich seht nur ihr.
Unsichtbares wird sichtbar, Vision verwandelt sich in Materie, aus Gedanken werden Bilder.
Moses muss tatenlos, gleichsam als steinerner Schatten seiner selbst, zusehen. Er sitzt als blasse Erinnerung über der Szenerie, in prachtvoller Renaissancearchitektur. Sein alttestamentarisches Bilderverbot wurde schon vor langer Zeit relativiert.
Allerdings: in jüngster Zeit regt sich an dieser Front Widerstand: Martin Luther hat gerade Fahrt in die Diskussion gebracht: kann man durch die Stiftung von gemalten Bildern sein Seelenheil erkaufen? Sollte man diesen „falschen“ Gebrauch von Bildern nicht schleunigst abschaffen?
In diesen ideologisch unruhigen Zeiten schlug Jan van Gossaert offensichtlich einen Mittelweg ein: er entschied, keine irdische, luxuriös ausgestattete Malerwerkstatt zu schildern, sondern verlegte die Szene in einen (Kirchen)innenraum.
Und vor allem: ich selbst bin, ganz nach orthodoxer Tradition, nicht als Modell aus Fleisch und Blut, sondern nur als göttliche Erscheinung anwesend.
Engel tragen mich.
Ein Hauch von Luxus umweht den Maler aber trotzdem, seine teure Kleidung hatte ich schon erwähnt.
Er und seine Kollegen versammelten sich in den vielen „Lukasgilden“, die in den Kunstzentren gegründet worden waren, abhängig von Aufträgen und materiellem Zuspruch. Wird der Künstler hier geläutert? Wird er nach den Schuhen auch sein teures Gewand ablegen?
Das bleibt offen.