Schön
Für die Kunstgeschichte wurde die aus dem späten 14. Jahrhundert stammende Kalksteinskulptur, an der noch Reste von Bemalung und Vergoldung zu erkennen sind, 1910 entdeckt. Sie war damals in Privatbesitz und befand sich – vor der Fachwelt verborgen – in einem Wohnhaus in Krumau (dem heutigen Český Krumlov in Tschechien). Möglicherweise war sie dort schon seit 1803 untergebracht, nachdem das 6 km entfernte Zisterzienserkloster Goldenkron (heute: Kloster Zlatá Koruna) 1785 aufgehoben worden war. 1913 kaufte der österreichische Staat das Kunstwerk für 30.000 Kronen an, nachdem einige Jahre mit der privaten Besitzerin verhandelt worden war. Seit 1922 ist die 112 cm hohe Mariendarstellung in der Kunstkammer des KHM (damals noch „Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe“) als eines ihrer Hauptwerke öffentlich zu sehen.
Etwa zur gleichen Zeit, 1923, wurde in der Kunstgeschichtsschreibung erstmals der Begriff „Weicher Stil“ verwendet. Er manifestiert sich besonders in Mariendarstellungen des späten 14. Jahrhunderts, die man zusammenfassend nun „Schöne Madonnen“ nannte. Zu dieser Gruppe gehört als eines der qualitätsvollsten Beispiele die „Krumauer Madonna“. Warum? Wesentlich für die Zuordnung ist die S-Linie, die ihr eleganter und Körper beschreibt. Der liebliche, kleine Kopf und die zarten Finger; das offene, unter Krone und Schleier sichtbare Haar, die Behutsamkeit, mit der Maria ihr Kind hält und der komplex entworfene, mit tiefen, aber dennoch lichterfüllten Falten versehene ausgearbeitete Mantel sind weitere signifikante Merkmale. Durch die Volumina der Draperie erscheint Maria trotz ihrer lieblichen Ausstrahlung der Realität – und damit dem Betrachter - entrückt. Die Herkunft des Bildhauers ist umstritten, vielen gilt er als Nachfolger der berühmten Parler-Familie. Der „Meister der Krumauer Madonna“ war selbstbewusst: Offenbar an Beispielen der italienischen Frührenaissance geschult, glich er die irdische Qualität seiner künstlerischen Arbeit der großen theologischen Bedeutung der Darstellung an.