um 1700, Vormals zugeschrieben an: Gabriel Grupello
Christus hängt mit weit auseinander gezogenen Armen am Querbalken des Kreuzes. Zwei mit foliierten Glassteinen geschmückte Nägel bohren sich in seine Handwurzeln, ein dritter steckt im Rist der übereinander gelegten Füße. Der Gekreuzigte ist lebend wiedergegeben und blickt mit nach seiner linken Seite gewandtem Haupt klagend zum Himmel empor. Sein sehniger, schlanker Körper schwingt in einer durchgehenden Bewegung nach rechts aus, schwer drückt die beinahe freiplastisch gearbeitete Dornenkrone auf die Stirn. Die mit bestechender Virtuosität und Eleganz vorgetragene Schnitzkunst gipfelt jedoch im flatternden, mehrfach gedrehten Lendentuch, dessen Zipfel, wie in der kunsthistorischen Literatur treffend bemerkt wurde, "einem an der Sonne verdorrten Distelblatt gleicht". Das brillante Meisterwerk ist dem zu seiner Zeit hoch geschätzten flämischen Bildhauer Gabriel Grupello zuzuschreiben, der ab 1695 als Kabinettstatuarius von Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz, dem kunstsinnigen Schwager Kaiser Leopolds I., tätig war. Der außerordentlichen Wertschätzung der Zeitgenossen - Joachim von Sandrart lobte den kaum Vierzigjährigen geradezu hymnisch, noch eine Generation später wurde Grupello mit Phidias und Peter Paul Rubens in einem Atemzug genannt - steht die weitaus geringere Beachtung des Meisters durch die Nachwelt gegenüber. Die Tochter des Künstlers, Adelgunde Poyk, erwähnt in einem Brief von 1777 einen Elfenbeinkruzifixus, den Grupello dem nachmaligen Kaiser Karl VI. geschenkt habe, als der Monarch ihn 1703 auf der Durchreise nach Spanien in seinem Atelier in Düsseldorf besuchte und seine eben vollendete Porträtbüste besichtigte. Das seither verschollen geglaubte Objekt soll in der Wiener Schatzkammer aufbewahrt worden sein. Könnte damit das hier vorgestellte Stück gemeint sein? Der Wiener Elfenbeinkruzifixus wurde erst jüngst von der Spezialforschung wieder entdeckt, da er nicht dem von Grupello üblicherweise bevorzugt dargestellten Typus des Cristo morto folgt und zudem nach der Gründung des Hofmuseums vorübergehend in der Kunstkammer ausgestellt war.
Kruzifix; Elfenbeinschnitzerei
Düsseldorf
um 1700
Gabriel Grupello (1644 Geraardsbergen - 1730 Ehrenstein/Kerkrade) - GND
Elfenbein, Almandine, Hartholz, schwarz gebeizt
H. 30,3 cm, B. 31,5 cm
Kunsthistorisches Museum Wien, Geistliche Schatzkammer
Schatzkammer, GS E 46
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