1. Hälfte 16. Jahrhundert
Im Ambraser Inventar von 1596 werden auf fol. 478 insgesamt drei "doppelte(s) pecher" genannt. Dabei könnte es sich um Maser-Doppelköpfe handeln. Allerdings verwendet das Inventar nicht den Ausdruck "choph" (von lat. cuppa), der normalerweise für kugelige Gefäße gebraucht wurde. War einem Behälter ein kleinerer, ähnlich geformter übergestülpt, wurde aus dem "Kopf" ein "Doppelkopf". Über einem achtfach gelappten Fuß erhebt sich ein bauchiger Pokal mit einem seitlichen, eingedrehten Henkel. Der als Deckel darüber gestülpte zweite Becher weist einen ähnlich gestalteten Fuß auf, der gleichzeitig als Deckelgriff dient. Wie die meisten der sieben Ambraser Gefäße aus Maserholz besitzt er eine beachtliche Größe. Das sehr harte und dichte Material wurde aus Verwachsungen oder Wurzelstöcken verschiedener Laubbäume gewonnen, die allerdings selten einen derart großen Umfang wie die Ambraser Gefäße aufweisen. Doppelkopfbecher kommen nur im deutschsprachigen Raum, insbesondere in Süddeutschland, vor. Sie tauchen im 13. Jahrhundert auf und blieben über vierhundert Jahre in ihrer Kernform gleich. Angehörige aller Stände, vom Kaiser bis zum Bürger, haben sie zu Feierlichkeiten oder ausgelassenen Festen verwendet. Brautpaare und deren Gäste tranken aus dem Doppelkopf. Den Hintergrund für ihre Verwendung bildet die uralte Sitte des Minnetrinkens. Dabei wurde an bestimmten Feiertagen zu Ehren des jeweiligen Heiligen geweihter Wein zum Trinken gereicht. Dieser Trank konnte dementsprechend wundertätig wirken: Männer stärken, Frauen verschönern, Krankheiten heilen, vor allem aber vor Zauberei und Gift schützen. Dieser Effekt wurde noch gesteigert, wenn das Holz von Ölbäumen aus dem Heiligen Land stammte. Obwohl das Minnetrinken von der Kirche kaum gefördert wurde, da es häufig in derbe Trinkfeiern ausartete, stellte es im 15. und 16. Jahrhundert einen der beliebtesten und gängigsten deutschen Bräuche dar. Die Ambraser Gefäße aus Maserholz zeigen jedoch keinerlei Spuren einer Benützung und standen vermutlich nie im praktischen Gebrauch. Ihr außergewöhnliches Format entlarvt sie als Kunstkammergegenstände, die eine Drechselkunst von hohem Niveau repräsentieren.
Gefäß; Becher
Süddeutsch
1. Hälfte 16. Jahrhundert
H. 33,3 cm, Dm. Lippe 12,4 cm bzw. H. 19,8 cm, Dm. Lippe 14,3 cm
Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer
Kunstkammer, 4945
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