1. Drittel 9. Jahrhundert
Bei der Stephansbursa handelt es um ein Reliquiar in Gestalt einer Pilgertasche ("Burse"). Der originale Holzkern enthält Ausnehmungen, die zur Verwahrung von Reliquien bestimmt waren. Nur das größte Fach, das vom Boden aus ins Kerninnere führt, birgt noch eine (später hinzugefügte) Stoff-Reliquie. Alter Tradition zufolge soll die Burse einstmals Erde enthalten haben, die mit dem Blut des Erzmärtyrers Stephanus getränkt war. Jüngst angestellte Materialuntersuchungen erhärteten eine Überlieferung, wonach die Stephansbursa bei Krönungsakten in der Aachener Pfalzkapelle in eine dafür vorgesehene Nische im Marmorthron Kaiser Karls des Großen gestellt wurde. Auf den ersten Blick vermittelt der dichte Dekor der Schauseite des Reliquiars, bestehend aus Edelsteinen und Perlen in ungleich hohen Muldenfassungen, den Eindruck regellos gestreuten Reichtums. Bei näherer Betrachtung wird jedoch die beabsichtigte Formgebung hinter der Anordnung der Steine sichtbar: Bänder von "gemugelten" Steinen (sie sind nur geglättet, nicht im Facettenschliff bearbeitet - dieser kam erst später auf) umrahmen das gesamte Feld und unterteilen es in Kasten und Dach sowie in der Mittelachse. Die Hauptachsen dieser Unterteilung bilden somit ein Kreuz aus Juwelen und können als crux gemmata, als kaiserliches Siegeszeichen - vergleichbar dem Reichskreuz (Inv.-Nr. SK_WS_XIII_21) -, interpretiert werden. Die Seitenwände der Bursa sind mit Goldblech überzogen und zeigen eingeprägte Medaillons, deren rätselhafte Darstellungen von Fischern, Falkenjägern, Vogelschützen und einer Rachegöttin stilistisch mit der zeitgleichen Buchmalerei der Hofschule Karls des Großen (Anfang 9. Jahrhundert) verwandt sind. Ursprünglich war die Rückwand ebenso gestaltet, sie wurde jedoch im Empire - vermutlich in Wien um 1827 - mit vergoldetem Silberblech neu überzogen. Die Bekrönung des Reliquiars scheint im 15. Jahrhundert hinzugefügt worden zu sein.
Reliquiar
Karolingisch (Aachen ?)
1. Drittel 9. Jahrhundert
Goldblech über Holzkern, RS: Silber, vergoldet, Edelsteine, Perlen, Glas
H. 32 cm, Gewicht 2640 g
"MALIS VINDICTA"
Kunsthistorisches Museum Wien, Weltliche Schatzkammer
Schatzkammer, WS XIII 26
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