Entdecken Sie in der Rubrik Kunstgeschichten abwechslungsreiche Essays zu verschiedensten Kunstwerken aus unseren umfangreichen Sammlungsbeständen.
Zur Rezeption der Bronzestatuette „Schwarze Venus“ (KK 5533)
Aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union:
Artikel 21
Nichtdiskriminierung
(1) Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, sind verboten.
Ungezwungen nackt, tänzelnd, verliebt in die eigene Schönheit die beste Ansicht im (heute verlorenen) Handspiegel suchend – so stellte ein unbekannter, wahrscheinlich niederländischer Künstler wohl um 1580 eine Afrikanerin als Bronzestatuette dar. Alle wichtigen Fragen rund um die Entstehung der Figur sind offen. Im Inventar der Kunstkammer Erzherzog Leopold Wilhelms von 1659 ist sie zum ersten Mal dokumentiert und beschrieben:
„Ein kleines Bildt von Metal einer nackhendten Frawen ganzer Postur, hat in der rechten Handt ein Stuckh von einem Stab vnd in der linckhen / ein Tüchel. […]“
Diese historische Quelle erstaunt. Mitte des 17. Jahrhunderts, zu einer Zeit, als auch in Wien nachweisbar zahlreiche dunkelhäutige Sklavinnen und Sklaven ihr unfreies Dasein fristeten (nicht nur an den Höfen der Adligen, sondern auch in bürgerlichen Haushalten), beschrieb der Verfasser des Inventars einer der vornehmsten Wiener Kunstsammlungen die Statuette in einer Weise, als wären ihm heutige Grundwerte geläufig gewesen: Ethnische Herkunft oder Hautfarbe spielen keine Rolle.
Andernorts gab man sich weniger zurückhaltend: Von dieser Statuette sind insgesamt vierzehn, im Wesentlichen gleiche Repliken bekannt, heute verteilt über verschiedene Museen in Europa und den USA. So auch im Grünen Gewölbe in Dresden. Das dortige Inventar der Schatzkammer des Sächsischen Kurfürsten von 1733 beschreibt die dort vorhandene Version ebenfalls, wobei die ethnische Zugehörigkeit der Dargestellten ohne Umschweife angesprochen wird: „Eine kleine metallne Statua, eine nackende Mohrin, hält in der rechten Hand einen Spiegel, in der lincken ein Schnupftuch […]“.
In wieweit das Wort „Mohrin“ im damaligen Sprachgebrauch pejorativ intendiert war, lässt sich heute schwer feststellen. Aber es fällt doch auf, dass ungefähr gleichzeitig mit dem sächsischen Inventar im maria-theresianischen Wien, wo Mitte des 18. Jahrhunderts mit dem Codex Theresianus Sklaverei abgeschafft hätte werden sollen, die „nackhende Frawe“ von einst gar ihre Apotheose als Göttin der Schönheit und der Liebe erfuhr: Im Inventar der kaiserlichen Schatzkammer, wohin die kleine Bronzefigur aus der Sammlung Leopold Wilhelms mittlerweile gewandert war, wird sie nun, 1750, als „stehende Venus aus Bronze“ bezeichnet. Dies war insofern naheliegend, als der Spiegel, den man sich inzwischen in der Hand der Schönen vorzustellen wusste, zu den klassischen Attributen der Venus gehört, genauso wie die Nacktheit. Weitere Merkmale wurden in diesem Inventar nicht beschrieben. „Stehende Venus aus Bronze“ oder nur „Venus aus Bronze“ blieb sie in allen folgenden Inventaren der kaiserlichen Schatzkammer des 18. und 19. Jahrhunderts.
Es mag bezeichnend für das geistige Klima im Wien des späten 19. Jahrhunderts sein (bekanntlich erlebte die Stadt damals enorme Zuwanderung), dass zum ersten Mal 1875 die Ethnie der Dargestellten zum Thema wurde: Als man die Statuette aus der kaiserlichen Schatzkammer in die „Ambraser Sammlung“ im Unteren Belvedere in Wien übertrug, wurde im dortigen Nachtragsinventar unsere bronzene Venus nun prosaisch zur „Nackte[n] Mohrin, in der Linken ein Tuch“ degradiert.
So ernüchternd dieser Schritt in der Rezeptionsgeschichte der Statuette erscheint, es sollte noch schlimmer kommen: 1910 betitelte der bedeutende Wiener Kunsthistoriker und Sammlungsdirektor Julius von Schlosser in einem Bestandskatalog die Figur als „Negervenus“. Das Wort „Neger“ – heute als diskriminierend abgelehnt – hatte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts in die Umgangs- und auch in die Wissenschaftssprache eingebürgert, basierte aber damals bereits auf rassistischen, von der Sklaverei herrührenden Stereotypen. Zwar wurde also die Statuette dank Schlossers neuer Bezeichnung wieder zur Göttin, aber zugleich mittels polemischer Differenzkategorien abgestempelt. „Negervenus“, manchmal auch – schlechtes Gewissen machte sich bemerkbar – „sogenannte Negervenus“, blieb unsere Statuette das ganze 20. Jahrhundert hindurch. Erst mit der Neuaufstellung der Kunstkammer und ihrer Neueröffnung im März 2013 entschloss man sich im Kunsthistorischen Museum, der Bronze einen weniger anstößigen Titel zu geben, und entschied sich für „Schwarze Venus“. Randnotiz zum Schluss: In Dresden, wo man im 18. Jahrhundert Wien an Fortschrittlichkeit hinterhergehinkt war, setzte man jetzt in punkto Behutsamkeit zu überholen an und betitelte in einem Ausstellungskatalog 2017 die dortige Figur als „Afrikanerin mit Spiegel (sogenannte Schwarze Venus)“.